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Thüringen bestimmt die Qualität der eigenen Arzneimittelversorgung ganz erheblich selbst
15.06.2023 - Presse

Der bundesweite Protesttag der Apotheken hat auch in Thüringen einen großen Widerhall gefunden. Im ganzen Land blieben Apotheken geschlossen und verwiesen auf die Notversorgung durch die Notdienstapotheken. Gleichzeitig stellten sich die Apothekerinnen und Apotheker mit ihren Teams den Fragen der Bevölkerung und erklärten die Hintergründe des Protesttages. Die Pharmazeutinnen und Pharmazeuten stießen dabei auf viel Zustimmung und Verständnis, nur das Thüringer Wissenschaftsministerium verwirrt mit einem eigenartigen Zahlenverständnis.

Neben den zentralen Forderungen auf Bundesebene haben die Thüringer Berufsvertretungen einen 7-Punkte-Plan aufgestellt, in dem Schritte aufgezeigt werden, die auf Landesebene unternommen werden können und müssen, um die Arzneimittelversorgung in Thüringen langfristig zu sichern. „Wir haben bewusst dieses Format gewählt, damit die Landespolitik sich nicht einfach wegducken kann, mit dem Verweis, dass das alles nur in Berlin geregelt werden kann,“ sagt Danny Neidel, Geschäftsführer der Landesapothekerkammer Thüringen. „Natürlich werden ganz wichtige Weichen in Erfurt gestellt, dafür trägt die Landesregierung die Verantwortung.“

Der Apotheker macht es an einem einfachen Bild deutlich. „Wie gut die ländliche Infrastruktur in Thüringen aufgestellt ist, entscheidet nicht Berlin. Wie gut die »Datenautobahnen« im Thüringer Wald funktionieren, wie oft der Bus in die Kreisstadt fährt, wie weit es bis zur nächsten Schule ist, das alles sind Fragen, die Thüringen selbst beantworten muss. Und diese Antworten entscheiden eben über die Lebensqualität auf dem Land und sie beeinflussen auch sehr stark, wie die Gesundheitsversorgung jenseits der „Thüringer Perlenkette“ funktioniert.“

Wie dringend der Appell an die Verantwortlichen des Landes ist, ist für die Landesapothekerkammer sehr schnell sichtbar geworden. „Wenn ich lese, dass das Thüringer Wissenschaftsministerium darauf verweist, dass Thüringen über den Landesbedarf hinaus Apotheker ausbilde und mit »rechnerisch 1.500 Pharmaziestudierenden in 20 Jahren« argumentiert, dann vermisse ich verantwortliches Wirken doch sehr stark.“

1.500 Studierende – damit meint das Ministerium Studienplätze, nicht Absolventen. Das wären nach den Ergebnissen der letzten 20 Jahre etwa 70 %. „Diese gut 1.000 Absolventen, auf die wir danach noch hoffen könnten, brauchen wir allein in den öffentlichen Apotheken, um die Arzneimittelversorgung in Thüringen zu sichern. Der zunehmende Thüringer Bedarf an pharmazeutischem Sachverstand in den Krankenhäusern, in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung wäre dann auch »rein rechnerisch« noch nicht gedeckt. Mal ganz abgesehen davon, dass es mich überrascht, dass das Wissenschaftsministerium die Universität in Jena als regionale Einrichtung versteht, die nur für Thüringen ausbildet. Wenn es danach ginge, gäbe es in Brandenburg gar keine Arzneimittelversorgung und in Sachsen eine völlig unzureichende.“

Nach Angaben des Thüringer Landesamtes für Statistik (TLS)* werden 2042 in Thüringen etwa genauso viele Menschen leben, die über 65 sind wie heute, im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung aber deutlich mehr, da dann etwa 200.000 Einwohner weniger in Thüringen leben. Den Höhepunkt in dieser Altersverteilung erwartet das TLS für 2032, dann leben nur noch etwa zwei Millionen Menschen in Thüringen, davon sind aber mehr als 625.000 älter als 65. Das sind gut 50.000 mehr als heute, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine sichere Arzneimittelversorgung angewiesen sind.

„Mich enttäuscht, dass sich das Wissenschaftsministerium immer wieder mit irgendwelchen Zahlenspielchen aus der Verantwortung stehlen will.“, zeigt sich Apotheker Neidel doch sehr irritiert. „Ich verstehe doch, dass jeder Studienplatz für Pharmazie in Jena Geld kostet. Aber das ist eben gut angelegt, wenn die Politik ihr Versprechen wirklich ernst meint, dass sie die Lieferengpässe von Grund auf angehen und Anreize schaffen will, dass überlebenswichtige Arzneimittel wieder in Europa produziert werden. Ein modernes und ausreichend großes Institut für Pharmazie wäre dann ein echter Standort-Vorteil.“