Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland?
26.07.2024 - externe Gremien, EDV, Information & Internet, Apothekenwesen
Vorab zur Einordnung dieses Textes
Der folgende Text ist ein bisschen spitz formuliert. Das soll Ihnen helfen, sich mit einer möglicherweise anstrengenden, aber eben wichtigen Frage auseinanderzusetzen und beim Lesen am Ball zu bleiben. Aber – wie immer – es geht uns weniger um Form und Stil, entscheidend ist der Inhalt. Und der stellt im Grunde sehr viel tiefer gehende Fragen als die, wie viele Menschen sich eigentlich die Einführung der elektronischen Patientenakte wünschen.
Mitte Juli veröffentlichte die Gematik eine Pressemitteilung mit dem Titel: „TI-Atlas: Mehrheit der Deutschen möchte ePA nutzen “. Darin schreibt die Gesellschaft mbH „Ein halbes Jahr vor dem Start der ePA für alle plant eine Mehrheit der Menschen in Deutschland (61 Prozent), die die ePA kennen, diese aktiv zu nutzen. Das zeigt der heute von der gematik veröffentlichte TI-Altas. Nur vier Prozent der Befragten wollen der Nutzung laut Umfrage widersprechen.“
Gewagte These
61 Prozent der Menschen in Deutschland, die die ePA kennen, plant diese zu nutzen? Man muss zugeben, dass diese Überschrift über einer Pressemitteilung etwas holpriger wäre, aber daraus die Schlagzeile zu machen „Mehrheit der Deutschen möchte die ePA nutzen“ ist je nach Geschmack schon bemerkenswert „mutig“ oder „frech“.
Was heißt kennen?
Die erste Interpretation, die es kritisch zu hinterfragen gilt, ist: „Was heißt es, die ePA zu kennen?“ Zu wissen, dass sich hinter der Abkürzung die elektronische Patientenakte verbirgt, darf man bei einigermaßen interessierten Menschen sicher voraussetzen. Ob aber schon dies noch die Mehrheit der Menschen in Deutschland umfasst, müsste man zuvor herausfinden. Aber sei es drum, spannender ist ohnehin die Frage, ob die Mehrheit der Menschen in Deutschland dann noch ein paar Details mehr von der elektronischen Patientenakte weiß. Also z. B.:
- welche Funktionalitäten die ePA hat,
- welche Rechte der „Patient“ in seiner ePA hat,
- wie genau sie oder er die Datenweitergabe einschränken kann,
- wann welche Daten gelöscht werden,
- ob sie oder er das nur selbst kann oder auch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte.
Mit anderen Worten, ob die Mehrheit der Menschen in Deutschland die ePA – ihre Aufgabe und Funktionalität und die eigenen Rechte dabei - wirklich kennt, darf dann doch bezweifelt werden. Wahrscheinlich sind diese Fragen noch nicht einmal administrativ geklärt, geschweige denn technisch ausgereift und wirklich verfügbar. Und doch gibt es Menschen, die von sich sagen, sie kennen die ePA gut genug, um eine Meinung dazu zu haben. Und von dieser eingeweihten Gemeinschaft sagen „nur“ 61 Prozent, dass sie planen, die ePA zu nutzen. Was auch immer sie unter dieser „Nutzung“ verstehen. Diese 61-Prozent-Gruppe setzt die Gematik GmbH mit der Mehrheit der Menschen in Deutschland gleich. Aha.
Wer wurde eigentlich wie befragt?
Aber das ist noch nicht alles, denn da gibt es ja noch die vier Prozent der Befragten, die der Nutzung laut Umfrage widersprechen wollen. Als naturwissenschaftlich ausgebildetere Mensch möchte man dann natürlich wissen, wer ist es denn, der hier befragt wurde, wie wurde diese Gruppe ausgesucht und wie wurde die Umfrage eigentlich durchgeführt. Man muss ein bisschen suchen, bis man im „Hintergrund der Methodik“ etwas zur „Datenerhebung“ findet: „Die Befragung wurde als quantitative Online-Befragung durchgeführt, die Einladung fand überwiegend postalisch statt. … Versicherte wurden mittels eines Online-Panels befragt. “
Online-Befragung
Natürlich, es war zu erwarten, dass eine Umfrage der Gematik online durchgeführt wird. Sie hat ja den gesetzlichen „Auftrag die Einführung, Pflege und Weiterentwicklung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und ihrer Infrastruktur in Deutschland voranzutreiben“ (Wikipedia). Allerdings stellt sich auch hier die Frage, ob mit dieser Befragungsmethode nicht schon ein gewisser Teil der Bevölkerung von vornherein ausgeblendet wird, nämlich die Menschen, die „das Internet nicht nutzen“.
So schnell entsteht ein Wunsch nach etwas, …
Nun mögen Sie sagen: „Das sind doch nicht viele!“ was bezogen auf die Gesamtbevölkerung vielleicht stimmt, aber absolut sicher eine Zahl von Menschen im Millionenbereich umfasst. Und diese Gruppe wird noch größer, wenn man diejenigen hinzurechnet, die grundsätzlich nicht an (online-)Befragungen teilnehmen oder sich bei diesem Thema nicht kompetent fühlen oder sich nicht dafür interessieren. Gerade wenn es auf eine allgemeine Frage zur Akzeptanz einer digitalen Anwendung hinausläuft, ist die Verzerrung bereits vor der ersten Frage nicht unerheblich. Und dann sagen nur 61 Prozent dieser „ungeschickt“ ausgewählten Gruppe, sie „planen“ die Nutzung. Auch daraus macht die Gematik ein „möchten“, also einen Wunsch, …
… das andernorts gewollt ist
Aber lassen wir das. Wir gehen davon aus, Sie haben den Punkt, auf den wir hinauswollen. Die Gematik, letztlich eine Organisation, in der das Bundesgesundheitsministerium eine 51-Prozent-Mehrheit hält, in der die anderen beteiligten Organisationen zwar etwas sagen, aber nichts entscheiden können, setzt eine Schlagzeile in die Welt, die politisch gewollt ist, aber durch die angewandte Methodik sehr kritisch zu hinterfragen und durch die Ergebnisse der zugrundeliegenden Befragung nicht zu belegen ist.
Bitte, liebe gematik, das können Sie besser!
So gewinnt man die „Mehrheit der Menschen in Deutschland“ nicht. Sie lässt sich überzeugen durch ein technisch ausgereiftes Produkt, das der Patient sicher und selbsterklärend bedienen kann, das seine Daten wirklich sicher schützt und das seine medizinische Versorgung spürbar besser macht.